STATEMENTS ZU LUTTERBECK/ GEHRING/ HORNS
Erich Bieramperl   02.01.2001              

Anfang Dez. 2000 legte die "Forschungsgruppe Internet Governance", bestehend aus Bernd Lutterbeck (Prof. für Informationsrecht), Robert Gehring (Diplom- Informatiker) und Axel Horns (Patentanwalt in München) ein im Auftrag des deutschen BM für Wissenschaft und Technologie erstelltes 163-seitiges "Kurzgutachten" vor, das die gegenwärtige Situation des Patentwesens im Allgemeinen - sowie im Fall der Software- Produkte im Speziellen - analysiert und Lösungen vorschlägt. Besonders lobend zu vermerken ist die Tatsache, dass das Gutachten frei im Internet zugänglich ist. Dies kommt fast einem Paradigmen- Wechsel im  Patentwesen gleich: denn bisher kamen derartig sensible, die gesamte Weltwirtschaft und Weltordnung tangierende Themen nach alt-vatikanischem Vorbild nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, bei sogenannten "diplomatischen Konferenzen" im Rahmen der EPO, WIPO oder WTO, zur Sprache. Vor allem bei den von "Experten" geführten Vorgesprächen zu solchen Konferenzen hatte niemand außer den "Insidern" etwas zu vermelden. In der Tat ist die Materie so komplex und vom Denken der öffentlichen Meinung abgehoben, dass es viel Zeit gebraucht hätte, Außenstehenden (z.B. Politikern) die Praxis des internationalen Patentwesens zu erklären. Es besteht kein Zweifel, dass das Gutachten von Lutterbeck/ Gehring/ Horns ein Schritt in die richtige Richtung ist: nämlich zur Transparenz des Patentwesens und zur Information der Öffentlichkeit über anstehende Probleme. Im folgenden werde ich versuchen, das besagte Gutachten aus der Sicht meiner web-pages "Über das Patent-Chaos und die Erschöpfung der krativen Ressourcen" sowie "Erzwingt die Patentierbarkeitskrise eine neue Weltordnung" einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen.

Zunächst fällt auf, dass der Forschungsgruppe Internet Governance auch ein Informatik-Experte angehört. Wichtig wäre es aber gewesen, auch Hardware-Techniker und Physiker zu Wort kommen zu lassen.  Bedauerlich ist angesichts der Tragweite der Thematik auch das Fehlen jeglicher Stellungnahmen (auch nicht in Fußnoten) von Unternehmern, Wirtschaftsexperten, Soziologen und  Zukunftsforschern. (Letztere haben der Menschheit außer Darwinismus, Cyber-Sex und Eintragungen ins Guiness-Book of Records ohnehin keine Visionen zu bieten; hier hätten sie wenigstens eine Gelegenheit, wieder das Denken zu lernen; Anm.).  Die mediale Bedeutung der Thematik ist den Gutachtern bekannt, denn auf S. 3 heißt es:

>Wohlbekannt ist eine Fachöffentlichkeit, die sich der praktischen und wissenschaftlichen Durchdringung des Themas "Patentschutz für Software-Produkte" annimmt. Möglicherweise neu ist die Art und Weise, in der mit Hilfe des Mediums Internet Meinungen gebildet werden - vorbei an der Fachöffentlichkeit und getragen von Akteuren, die fast nie Ökonomen und Juristen, sondern häufig Technologen und Informatiker sind< (S. 3)

Hier sind wir leider wieder bei der alten Gepflogenheit angelangt, Praktiker niemals selber zum Thema Patentwesen zu Wort kommen zu lassen. Die alte Insider-Mentalität wird offenbar; und der Widerwillen, Empfehlungen oder Wertungen von Seite derer anzuhören, die Nutznießer (oder auch Opfer) des Patentrechtes sind. Um die Gefahr vermeintlicher "Begünstigungen" auszuschließen, hat jede Art von Evaluierung zu unterbleiben...  Der "Patentexperte" (Patentanwalt, Patent- Sachbearbeiter etc.) sieht sich selber in der Position eines "Hyper-Technologen". Er allein es ist, dem der Techniker sein Wissen anvertraut, er allein initiiert das Prozedere des Patentschutzes; womit er sich indirekt auch zum Herrn des Patentrechts macht.  Das zumeist der Öffentlichkeit verborgene Wissen über Neuheiten (nur wenige Erfinder stellen ihre Ideen, Entwicklungen und Patent- Anmeldungen sofort ins Internet)  macht ihn gleichzeitig auch zum "Insider", der sich über die Masse der nicht durch Geheimwissen privilegierten,  jedoch technisch durchaus versierten Öffentlichkeit "erhaben" dünkt. Diese Fehleinschätzung war jahrzehntelang ein Hauptübel im Patentwesen: denn der im eigentlichen Sinne "Weise" und "Vorausblickende" ist nicht derjenige, der über Routine und Insiderwissen, sondern über nötige Kompetenz, Talent und Fähigkeit zu Abstrahierung und Antizipierung verfügt - und das ist in den allermeisten Fällen der Erfinder und nicht sein Anwalt. Wäre es umgekehrt, so hätten die Anwälte von Bill Gates seine Software entwickelt und damit ein Milliardenvermögen gemacht, und nicht er selbst...

Das Gutachten unterteilt auf S. 1 in 3 Erfindungsbereiche: In nicht computer- implementierbare, computer- implementierbare und Ambivalenz (bzw. Überschneidungs)- Bereiche, und stellt auf S. 26 wie folgt fest:

 >Es sind derzeit keine zureichenden Gründe erkennbar, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, den gesamten Bereich der computer-implementierbaren Erfindungen vom Patentschutz auszuschließen<  und liefert dazu folgende Begründung:   

>Eine Zurückführung des Bereiches der dem Patentschutz zugänglichen Gegenstände würde in der Praxis eine radikale Beschneidung des Patentwesens bedeuten, bei der - abgesehen von der Biotechnologie mit den ihr eigenen politischen Kontroversen - im Wesentlichen nur noch "klassische" Technikbereiche im Umkreis der "Old Economy" patentierfähig wären< !  

Sieh mal an! Ein riesiger unüberschaubarer Erfindungsbereich ist also von der Gefahr bedroht, künftig von der Patentierung neuer Produkte, d.h. vom technisch/ gewerblichen Patentschutz , ausgeklammert zu sein! Gemeint sind alle technischen Bereiche, wo Software eingesetzt wird, bzw. in weiterer Zukunft als einsetzbare Option in Frage käme: also ein riesiger unüberschaubarer Erfindungsbereich! Sieht man sich genauer um, so ist der sog. "New-Economy- Bereich" gemeint - genau jener Sektor, der vom jüngsten Börsencrash am meisten betroffen war...  Die TATSACHE, dass es in diesem Bereich künftig keine ausreichende Erfinderhöhe mehr geben könnte, um eine Patentierbarkeit zu rechtfertigen, wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt; sie wird aber auch nicht in Abrede gestellt.  Ist den Herren Lutterbeck, Gehring und Horns mit dieser Aussage bewusst, dass sie Sein oder Nicht-Sein der bestehenden, auf proprietären Strukturen basierenden Gesellschaft, praktisch von der Patentierbarkeit von Software abhängig machen? Offensichtlich sollen im Gutachten die BESTEHENDEN SACHZWÄNGE, der zu der Problematik geführt hat, verschwiegen  werden: nämlich

a)  dass eine nicht zu bewältigende Patentierbarkeitskrise existiert

b)  dass die mangelnde Patentierbarkeit vieler neuer Produkte das Ergebnis mangelnder Erfindungshöhe ist, und

c) dass eine - trotz intensivster Bemühungen - nicht steigerbare Erfindungshöhe ihrerseits das Ergebnis der Erschöpfung von kreativen Ressourcen ist, die man nicht beliebig vermehren und in die Zukunft projizieren kann... 

Diese Tatsachen sollen dadurch VERHEIMLICHT und VERSCHLEIERT werden, indem man PATENTERTEILUNGEN auf bereits bekannte,  jedoch in Form kombinier- und iterierbarer Software-Algorithmen "verpackte" technische Lehre generell als zulässig erklärt!  Ein Großteil des Gutachtens widmet sich der Frage nach Technizität, sowie den Vor- und Nachteilen von Open-Source- Software hinsichtlich Sicherheit, Tempo künftiger Innovation und Festigung nationaler Markt- Position gegenüber proprietärer (d. h. einem Patent- und/oder Urheberrechtsschutz unterliegender) Software.  Auf Grund dieser Studien kommen Lutterbeck/ Gehring/Horns zu dem Schluss, dass es zwar weiterhin Software-Patente geben soll,  jedoch:

> Der Umgang mit dem Quelltext von Computerprogrammen muss patentrechtlich privilegiert werden. Das Herstellen, Anbieten, in Verkehr bringen, Besitzen oder Einführen des Quelltextes eines Computerprogrammes in seiner jeweiligen Ausdrucksform muss vom Patentschutz ausgenommen werden <

Jeder kompetente Praktiker hätte darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn es für Open-Source- Software auf Grund (im Gutachten wohlweislich nicht erwähnter) mangelnder Erfindungshöhe kein Patent geben kann, dasselbe auch für proprietäre "Closed-Source"-Software zutreffen muss.. Die Folgen von Patenten bei unzureichender Erfinderhöhe wären: Endlose Debatten über die Legalität von erteilten Patenten (auch im Internet!), weiterer Verfall der Patentkultur, und unzählige Nichtigkeits- Klagen, deren Nutznießer ausschließlich Anwälte wären...  Im Gutachten der Forschungsgruppe gibt es lange Abhandlungen über Sicherheitsgewinn, Wiederverwertbarkeit, Interoperabilität, Migrationskosten und makro- ökonomische Vorteile von Open-Source- Software, die von dem eigentlichen Problem ablenken sollen: nämlich dass gar keine Optionsmöglichkeit existieren, sondern einzig und allein Sachzwang. Es fehlt auch der Hinweis darauf, dass Open-Source- Modelle in einer künftigen, aus besagtem Sachzwang resultierenden neuen Weltordnung keine "politische" Alternative sind, sondern ein durch Knappheit an Ressourcen, mangelnde Erfindungshöhen und Patentierbarkeits- Krisen erzwungenes MUSS, wenn man einerseits riesige Monopole, und anderseits Heere von (nicht einmal urheberrechtlich erwähnten) Kommando-Kreativen, besser gesagt: "Denkknechten",  die von Arbeitslosigkeit, Stress und Existenzangst bedroht sind, vermeiden will.  Das Gutachten verweist indirekt auf die Tatsache, dass das Patentwesen von Beginn an NIE die Interessen des Erfinders - d.h. des schöpferisch tätigen Individuums - im Auge hatte. Im Text heißt es z. B.:  

 >Die künftige Patentpolitik muss eine angemessene Balance zwischen Patentrecht, Urheberrecht und vor allem dem Verfassungsrecht herstellen. Wo dieser Zusammenhang übersehen wird, besteht die Gefahr, dass der Kern der künftigen Informationsgesellschaft ökonomisch fehlgesteuert wird.<  (S. 6)      >...dass ein allgemeiner Grundsatz nicht in Vergessenheit gerät: Wer Patente für sich in Anspruch nimmt, muss belegen, dass ein solches Monopol aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt ist<   (S. 6)       >...wohlbekannt sind Argumente, die den Zusammenhang von Patentschutz und Innovation ökonomisch begründen oder bezweifeln...<  (S. 3)

Aus diesen Passagen des Gutachtens geht eindeutig hervor, dass Fragen des Patentrechts schon  immer von der makro-ökonomischen und (daher zwangsläufig auch) politischen Sicht dominiert wurden. Das Argument, "es gehe um das Gemeinwohl", kam immer dann zur Anwendung, wenn der Erfinder (d.h. das kreativ tätige Individuum, nicht jedoch eine Interessensgruppe oder ein Konzern) eine bedeutsame Innovation von entsprechender Erfindungshöhe schuf. Diese Argumentation (in Wahrheit ein heuchlerischer Vorwand) bildete die Basis für alle Arten rechtlich gedeckter oder gewohnheitsmäßiger gepflogener Restriktionen und Repressalien gegen das Einzelerfindertum. Siehe dazu "PATENT-ENTEIGNUNG" sowie "Eric's Zeitmaschine" (ein authentischer Fall).