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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Wie verlässlich ist der Blick ins Gehirn?  
    Die bildgebenden Methoden der Neurowissenschaft werden immer ausgefeilter. Mittlerweile kann man damit selbst intime Bereiche des Seelenlebens ausleuchten. Einige Neurowissenschaftler beklagen nun, dass der moralische Status der bunten Gehirnbilder bisher zu wenig hinterfragt wurde - die neuroethische Debatte hinkt offenbar der technologischen Entwicklung hinterher.  
Der Fall Terri Schiavo
 
 
Am 31. März 2005 starb die US-amerikanische Wachkomapatientin Terri Schiavo. Sie verharrte seit 1990 in einem mehr oder weniger bewusstlosen Zustand, der von Neurologen als "persistent vegetative state" bezeichnet wird. Der Fall beschäftigte Medien und Öffentlichkeit, weil dem Tod Schiavos ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen ihrem Ehemann und ihren Eltern vorausgegangen war.

Seit 1997 bemühte sich Michael Schiavo darum, seine Frau sterben zu lassen. Er argumentierte, seine Frau hätte in einem solchen Zustand nicht weiterleben wollen. Schiavos Eltern sahen im Abbruch der künstlichen Ernährung hingegen eine schwere Verletzung ihrer Rechte.

Michael Schiavo sollte sich bei dem Streit schlussendlich durchsetzen. Im Jahr 2005 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die künstliche Ernährung Schiavos abgeschaltet werden müsse.
Ein Bild überzeugt Kritiker
 
 


Letztlich kreiste der Streit zwischen Ehemann und Eltern um folgende Kernfrage: Handelte es sich bei der Wachkomapatientin nur um die empfindungslose, vegetative Hülle von Terri Schiavo - oder blieb in ihrem Inneren noch ein Rest ihres früheren Ichs erhalten?

Als Michael Schiavo eine computertomografische Aufnahme vom Gehirn seiner Ehefrau veröffentlichte (Bild oben links), zeigten sich viele von seinen Argumenten überzeugt: Die schweren Schäden im Gehirn schienen im Vergleich zu einem gesunden Organ (Bild rechts) auch für Laien klar erkennbar.

Der Macht des Bildes konnten sich selbst Skeptiker nicht entziehen, denn die dunklen Flecken auf dem Gehirnscan suggerierten: "Terri Schiavo ist hier nicht mehr."
Bilderflut im Hirn
 
 
Der Fall Schiavo zeigt, dass bildgebende Methoden der Neurologie über die die rein fachwissenschaftliche Sphäre hinaus wirksam sind und mittlerweile Fragen von gesellschaftlicher Relevanz berühren.

Das kann auch durch Zahlen belegt werden: Ein Team um Judy Illes vom Stanford Center for Biomedical Ethics wies etwa nach, dass sich zwischen 1991 und 2001 die Zahl jener Studien nahezu verzehnfacht hat, die sich der funktionellen Magnetresonanz (fMRI) bedienen.

Und auch der Fokus der Untersuchungen hat sich im selben Zeitraum massiv verschoben. Dominierten zu Beginn der 1990er Jahre noch die Themen Motorik und Sinnesreize, gewinnen nun zunehmend höhere Gehirnfunktionen an Gewicht - etwa Kognition und Emotion (Nature Neuroscience 6, 205).
Kann man Lügen sichtbar machen?
 
 
Ein Beispiel dafür ist eine Untersuchung des Harvard-Forschers Daniel Schacter: Er entdeckte vor zwei Jahren neuronale Signale, die falsche von richtigen Erinnerungen unterscheiden (Nature Neuroscience 7, 664).

Damit könnte es im Prinzip möglich sein, die Erinnerung einer Testperson zu korrigieren und zu sagen: "Sie glauben zwar mit bestem Gewissen daran, sich an dieses Erlebnis zu erinnern. Aber es stimmt nicht. Ihre Erinnerung ist falsch."

Schacter betonte zwar letztes Jahr gegenüber der Zeitschrift "Nature" (435, 254), dass bei seinen Forschungen noch keineswegs sämtliche offenen Fragen geklärt seien. Er gestand aber zu, dass das Kriminalisten womöglich nicht davon abhalten würde, diese Technik für Lügendetektoren einzusetzen. Der Bioethiker Paul Root Wolpe sieht das ähnlich: "Es gibt einen enormen öffentlichen Druck, diese Dinge einzusetzen."
Kommerzielle Lügentests
 
 
Die Sorge ist nicht unberechtigt: Zwei US-amerikanische Startups, "No Lie MRI" und "Cephos", bieten mittlerweile kommerzielle fMRI-Scans an, um Lüge von Wahrheit zu unterscheiden.

Daniel Langleben von der University of Pennsylvania, der No Lie MRI berät, behauptet etwa, Lügner mit 88prozentiger Wahrscheinlichkeit auf die Schliche zu kommen. Seitens der Firma Cephos macht man ähnliche quantitative Angaben.

Das sehen freilich nicht alle Fachkollegen so: Sean Spence vom der University of Sheffield meinte etwa im Juni dieses Jahres: "Bei individuellen Untersuchungen ist es wirklich schwierig zu entscheiden, ob jemand lügt oder nicht."

Spence, der selbst als einer der Ersten funktionelles Magnetresonanz-Imaging bei Studien zum Thema Lüge eingesetzt hat, glaubt jedenfalls nicht, dass die Technologie so weit ist, absolut zuverlässige Ergebnisse zu bringen.
Neuroethische Debatte gefordert
 
 
Wichtiger als methodische Fragen dürften indes die Kontaktflächen zu unserem Alltagsleben sein. Insbesondere dort, wo auch juristische Fragen berührt werden. "Richter möchten beispielsweise wissen: ' Kann ich jemanden in den Scanner setzen und damit herausfinden, ob er ein Rassist ist?'", fragt die Neurowissenschaftlerin Elizabeth Phelps von der New York University:

"Wir Wissenschaftler sollten fähig sein zu sagen, dass wir diese Unterscheidung nicht treffen können", so Phelps in der aktuellen Ausgabe von "Nature" (444, 664).

Die Zahl jener Forscher, die eine verstärkte ethische Begleitdebatte zur galoppierenden Entwicklung der Neurowissenschaften fordern, wird immer größer. Einer davon ist etwa Stephen Morse: "Die rechtlichen und moralischen Folgerungen, die [aus Studien mit bildgebenden Methoden] getroffen werden, sind oft völlig überzogen", so der Jurist und Psychiater von der University of Pennsylvania:

"Wir brauchen Forscher, die offen sagen, was sie wissen - und was sie nicht wissen. Aber die daraus zu ziehenden Schlüsse verlassen das Gebiet der Wissenschaft. Das sind moralische, soziale und juristische Fragen."

[science.ORF.at, 11.12.06]
->   No Lie MRI
->   Cephos
->   Stanford Center for Biomedical Ethics
->   Neuroethics - Wikipedia
 
 
 
Mehr zu dem Thema:
->   Blick ins Gehirn stellt die Welt auf den Kopf (futurezone.ORF.at)
->   Gehirn-Scan als Lügendetektor (30.11.04)

 
 

 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Wissen und Bildung 
 
  oberbosnigl | 11.12, 12:48
Genau, ich fordere die totale Überwachung...
... für jene Leute, die unsere Gesetze beschließen und unsere Ministerien führen. Jedes auch nur entfernt sprachähnliche Äußerungsmuster derselben hat den Lügendetektortest zu bestehen. *gggg*
 
 
 
  karl273 | 13.12, 05:59
Zustimmung

Dem kann ich nur zustimmen, denn jedes öffentliche Amt verpflichtet automatisch zur Ehrlichkeit.

Eine Welt mit ehrlichen Politikern wäre eine interessante Utopie.

Es könnte aber auch sein, dass die Betroffenen dadurch nur lernen, sich besser sebst zu betrügen.

 
 
  webwasher | 11.12, 12:19
Vor jeden Wahlen in das Hirn des Politikers schauen
damit es nach den Wahlen keine bösen Überaschungen gibt...
 
 
 
  kyuss1975 | 11.12, 12:42
und was willst da finden? vernunft? *muahhahhahhahha*
*muahhahahhhahaahahahahhah* *speib vor lachen*
 
  rea1 | 11.12, 11:51
Solange man sogenannte Fehler nicht
korrigieren will.Z.B. Kinderverweigerer
umpolt.Nicht für jede(n) sind Kinder
wichtig.
 
 
 
  albundyfan | 11.12, 11:11
88%
wenn man nur 88% trefferwahrscheinlichkeit erreicht, dann ist das ganze nutzlos und besonders vor gericht immens gefährlich.

solange man nicht mindestens auf eine genauigkeit wie zb. bei vaterschaftsuntersuchungen von 99,99999% kommt, ist es sinnlos über einen einsatz einer technik überhaupt nachzudenken.
 
 
 
  solala | 11.12, 11:08

Warum dieses thema nochmals erscheint weis ich nicht?

Damals sagte ich und das ist das wirklcih gefährliche, das Schlußendlich es an Neuralen Punkten wie Bahnhöfe derartige Geräte dann für die Gedankenkontrolle eingesetzt werden könnte...

Dabei geht es gar nicht so sehr um Kriminalistik sondern um Verletzungen des Urheberrechtsschutzes...

Denkt diese Person etwas das ein Geschütztes Werkt ist...

Oder aber auch, schon früher denkbar, die Werkung von Werbeplakaten zu untersuchen, und zwar auch kombiniert mit der Umgebung.

Leider wird man weder etwas Verhindern und schon gar nicht wenn man verdammt viel Geld dafür bekommt.

Also ist diese Diskussion ob jetzt hier oder von sogenannten Experten sinnlos, die Wissenschaft realsierte alles ohne irgendwelche Moralischen Bedenken, also auch dies hier!

Und auch Politiker haben kaum interesse etwas wirklich zu verhindern, und irgend ein Staat wird es machen, und alle werden mitziehen.

Und sei es nur das Reizwort Terror, wo man ohnedies alles was Menschlichkeit heißt über Bord wirft...
 
 
 
  salai | 11.12, 12:21
Und wennst mir jetzt noch erklärst wie du einen 4-Tesla Magneten in einem Bahnhof aufstellst ohne dass dir die Nägel aus den Wänden und die Prothesen aus den Omis fliegen, mach ich mir vielleicht sogar Sorgen ;)
 
  kleinatt | 12.12, 11:21
... wie Bahnhöfe derartige Geräte dann für die Gedankenkontrolle eingesetzt werden könnte?

fmri an Bahnhöfen, hehe

Abgesehen von mechanischen Problemchen spielen natürlich Bewegungsartefakte auch keine Rolle;)

 
 
  ottohoho | 11.12, 11:07
"Das sind
moralische, soziale und juristische Fragen."

Und politische!!!
 
 
 
  freiwelt | 11.12, 10:19

wir haben hier zwei angebotsdominierte Märkte: 1. den medizintechnischen markt, der ständig neue hirntomografische verfahren und maschinen hervorbrigt, die mit finanziert, entwickelt, patentiert, verkauft und eingesetzt werden wollen. 2. den öffentlichen bioethikmarkt, auf dem man als grenzen fordernder praktiker, theologe, humanist oder philosoph karriere machen kann, indem man neue unerhört wichtige ethische problemlagen identifiziert...

die hirnscans find ich nicht so klar. das linke bild hat gewaltige ventrikel, aber die resultieren doch nicht von verletzungen?

zentral, ja zugespitzt, haben wir es hier mit der hirn-bewusstsein frage zu tun. abgehandelt u.a. v popper/eccles ... die (als rationalistischer philosoph und neurophysiologe) feststellen, dass wir es bei den beiden dingen - dem gehrin und dem, was wir mit seiner hilfe wahrnehmen, unserem "bewusstsein" - mit zwei grundverschiedenen dingen zu tun haben. so ist das bewusstsein offenbar zwar vom gehirn erzeugt, aber nicht determiniert .. schliesslich kann das bewusstsein für diverse zwecke gezielt "nutzen"
 
 
 
  freiwelt | 11.12, 10:21
ähm ich meine, das bewusstsein kann "sein gehirn" gezielt nutzen
 
  grantler | 11.12, 10:35
große ventrikel
die größe der ventrikel sagt nicht viel aus. es gibt ganz normale menschen (d.h. nicht klinisch auffällig), die so große ventrikel haben.
 
  gehirnaustritt | 11.12, 10:51
Popper/Eccles
Diese Ansicht gilt als von der modernen Hirnforschung widerlegt. Es existiert kein Dualismus.
 
  freiwelt | 12.12, 11:10
ahso? können sie die populärquelle, aus der sie das offenbar haben, nennen. die "moderne hirnforschung" ... sowas kommt dann eben von halbbildung. wie soll man denn eine kategorische differenz widerlegen, noch dazu empirisch?
 
 
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